Das Nadelbinden

Mit "Nadelbinden" oder "Nadelbindung" bezeichnet man eine Textiltechnik, die heutzutage fast unbekannt ist, in früheren Epochen aber allgemein gebräuchlich war. Man kann sie als zeitlichen Vorläufer des Strickens bezeichnen.

Vorwiegend kleinere, in Runden gearbeitete Kleidungsstücke, wie Kappen, Handschuhe und Socken wurden in dieser Technik hergestellt, und zwar in der Regel aus Wolle (es gibt aber auch Ausnahmen in Seide und sogar Baumwolle).

Übrigens waren Nadelbinden, Stricken und Weben früher Tätigkeiten, die zumindest in bestimmten Zeitabschnitten Männerhandwerk waren. Beim Nadelbinden ist das besonders gut nachvollziehbar, wenn man weiß, daß die ältesten Belege Fischernetze aus Baumbast waren. Das Älteste, welches in Friesack in Brandenburg gefunden wurde, ist schon in der Mittelsteinzeit, dem sogenannten Mesolithikum im 7. Jahrtausend vor heute hergestellt worden. (Quelle: von Freeden, Uta; von Schnurbein, Siegmar (Hrsg): Germanica. Unsere Vorfahren von der Steinzeit bis zum Mittelalter, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart, 2002.)

Die meisten Funde stammen allerdings aus dem ersten Jahrtausend n. Chr. und zwar aus Mittel- und Nordeuropa. Aber auch in Ägypten blühte die Kunst des Nadelbindens, heute als Coptic Knitting bezeichnet, denn die Stichvarianten ähneln tatsächlich dem Stricken.

Einer der häufigsten Stiche ist der Oslo-Stich, der hier im Bild erklärt werden soll. Es gibt allerdings unendlich viele Varianten und auch völlig anders geartete Stiche, die teils in die entgegengesetzte Richtung gearbeitet werden. Die so hergestellten Gewirke haben sehr verschiedene Maschenbilder und Eigenschaften. So entstehen teils lockere, luftig dehnbare oder sehr feste und dichte Textillien. Auch kann man mit relativ dünnem Garn recht dicke aber weiche Ergebnisse erzielen.

Wer weiter in die Materie eindringen will, den verweise ich auf die Veröffenlichungen von Gudrun Böttcher und anderen (siehe Literaturliste).  

 

Grundkurs Nadelbinden:


"Nadelbinden" bedeutet - wie der Name schon sagt - daß mit der Nadel etwas verbunden wird und zwar jede neue Schlinge mit einer oder mehreren vorangegangenen. Man benutzt dazu eine große Stopfnadel oder eine Nadelbind-Nadel aus Knochen oder Holz, welche deutlich besser in der Hand liegt, und ein Stück Wollgarn. Es kann nicht wie beim Stricken oder Häkeln vom Knäuel gearbeitet werden, weil beim Nadelbinden das ganze Fadenstück durch die Schlingen gezogen wird, ähnlich wie beim Nähen, Stopfen oder Sticken. Ist der Arbeitsfaden aufgebraucht, wird er durch Anfilzen eines neuen Stückes wieder verlängert. So brauchen die Fäden nicht ständig vernäht zu werden.

Benötigtes Material

Es wird von links nach rechts gearbeitet. Die Anleitung ist für Rechtshänder.

Wichtig: Jede Schlinge beginnt oben und vor der Arbeit.

Die erste Schlinge.

Die zweite Schlinge wird von hinten nach vorne eingestochen.

Die dritte Schlinge: Wieder von hinten in die Vorhergehende einstechen.

Immer noch die dritte Schlinge. Die Nadel wenden und die vorletzte Schlinge umstechen.

Der Faden liegt jetzt wieder oben und vor der Arbeit und die dritte Schlinge ist komplett.

Die vierte und alle folgenden Schlingen wie gehabt von hinten einstechen. 

Nadel wenden und wiederum die vorletzte Schlinge umstechen.

...und immer so weiter....

Um die Arbeit zur Runde zu schließen, fasst man, bevor man wie bisher eine neue Schlinge macht, eine der Vorreihe auf.

Nadel wenden, Schlinge wie gehabt durchziehen.

Und auf ein Neues...

Übrigens:

Beim Zunehmen arbeitet man zwei Schlingen in eine Schlinge der Vorreihe.

Beim Abnehmen werden zwei Schlingen der Vorreihe zusammengefasst.

(Abnehmen, indem man eine Schlinge der Vorreihe überspringt, ist ungünstig. Das gibt ein Loch.)

 

Ich biete auch einen Workshop zum Thema Nadelbinden an. Termine nach Absprache.

Tel.: 05281 / 3627.

 

Literaturhinweise:

 

Böttcher, Gudrun: Nadelbindung. Bilanz mehrjähriger Textiluntersuchung im Rahmen der "Experimentellen Archäologie", in: Fansa, Mamoun (Hrsg): Experimentelle Archäologie Bilanz 2001. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland Beiheft 38. Isensee Verlag Oldenburg. 2002. S.55ff.

 

Böttcher, Gudrun: Nadelbindungstechnik. Mittelalterlicher Textilfund in Müsen - Nachbildungsversuch. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland  Beiheft 6. Oldenburg. 1991. S.331ff.

 

Böttcher, Gudrun: Nadelbindung: Einfingerhandschuh. Expermentelle Archäologie im Museumsdorf Düppel. Oldenburg. 1996.

 

Böttcher, Grudrun: Nadelbindung - Typ I mit vielen Variationsmöglichkeiten, in: Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland Beiheft 19. Oldenburg. 1998. S.133ff.

 

Böttcher, Gudrun: Eine fast verlorene Textiltechnik - Rekonstruktionsversuch einer Kopfbedeckung aus dem 19. Jahrhundert. Arbeitsblätter für Restauratoren 1/98. Mainz. 1998.  

 

Burnham, D.K.: Coptic Knitting. An Ancient Technique, Textile History, Vol.3. 1972.

 

Claßen-Büttner, Ulrike: Nadelbinden - Was ist denn das? Geschichte und Technik einer fast

vergessenen Handarbeit, Norderstedt  2012

 

Hald, M.: Ancient Danish Textiles from Bogs and Burials. Kopenhagen. 1980.

 

Nordland, O.: Primitive Scandinavian Textiles in Knotless Netting. Oslo. 1961.